Liebster Mit-im-Haus-Wohner,
ein Mensch meines Vertrauens hat mir am Wochenende mal wieder Mut gemacht. Mit einschmeichelnder Stimme, die der Schlange Kaa aus dem Dschungelbuch zur Ehre gereicht ("Vertraue miiiiir..."), enthüllt er auf der Bühne menschliche Abgründe und singt die Wahrheit hinaus. Zuckersüß intoniert er zu den Klängen eines bekannten und beliebten Klassikers zum Refrain die unschuldigen Worte: "Ich kann Dich nicht leeeeeiden.... ich möchte Dich zerschneiden...." usw.
Recht hat er! Allerdings waren mir Gefühle solcher Art fremd. Bis ich Dich kennenlernte vor zwei Jahren. Du Grundguter. Es ist so lieb von Dir, dass Du Dir ständig Sorgen um mich machst. Das zeigt mir jedesmal der Schatten hinter Deinem Fenster, wenn ich nach Hause komme. Das leise Huscheln der Gardine, weil Du wieder zu bescheiden bist, um offen Deine Gefühle für mich auszudrücken. Aber ich weiß auch so, wie gern Du mich hast. Schließlich höre ich öfter ungewollt, wie Du über mich redest. Ich kann nicht immer alles verstehen, was Du sagst. Denn Du sprichst - im Gegensatz zu sonst - sehr leise. Wortfetzen fange ich auf, die sich anhören nach "....kommt nachts nach Hause... ", "...arbeitet.... lange Licht an... 3 Uhr morgens...", "...Weinflaschen im Container...", "...der Dritte diese Woche...mit Bart...".
Ach, Du Lieber! Ich weiß das wirklich zu schätzen. Aber Du mußt keine Angst haben. Ich nehme nachts meist ein Taxi, mir wird schon nichts passieren. Auch überarbeiten werde ich mich nicht. Hab 'nen netten Chef und liebe Kollegen. Alkoholismus ist ebenso wenig mein Ding. Da braucht Dich und Deine schützende Hand eher der Herr über mir, der jeden Freitag abend nach der Kneipe seine Ische prügelt (nein, ich wohne nicht in Neukölln, sondern in Charlottenburg!). Und die vielen Männer? Ach Gott, abstinenter als ich kann nun wirklich niemand sein. Ich würde niemals mit meinem Bruder, meinem Daddy, meinem Chef, meinem besten Freund, dem Freund meiner Tochter.... Also wirklich nicht! Und sollte ich doch mal jemanden abschleppen wollen, Du Selbstloser, dann habe ich auch Verhüterlis an Bord. Also - mir geht's gold.
Und bedanken wollte ich mich an dieser Stelle auch noch, dass Du so edel bist, und andere Menschen in Dein Hilfsprojekt mit einbeziehst. Der Kioskbesitzer schräg rüber fragte mich unlängst, in welcher Bar ich denn arbeite. Er wäre früher mal Bodyguard gewesen. Na Mensch, was soll ich zu soviel Güte noch sagen?
Achso - und mach Dir doch bitte nicht immer soviele Gedanken um meine Unterhaltung. Ich habe wirklich selbst eine Stereoanlage und sogar einen eigenen Fernseher. Weißt Du, es ist zwar ungemein zuvorkommend von Dir, dass Du jedesmal so laut aufdrehst. Ich schaue dann stets den gleichen Sender wie Du, damit ich den Stereoeffekt so richtig geniessen kann! Blöd bloß, dass Du anscheinend PayTeeVee hast. Ich nicht. Und wenn Du auf den Kanal zu Premiere wechselst, komme ich nicht mehr so richtig mit. Aber ausschalten ist ja auch mal ganz schön. Lese ich eben ein Buch. Obwohl... es ist ein bisschen schwer, sich auf den Inhalt zu konzentrieren, wenn Du des Fernsehens müde bist, Deine Anlage für mich voll aufdrehst und den Innenhof mit den Hinterwäldler Schlafmützen oder Operetten beschallst (hierzu hätte der Künstler meines Vertrauens Dir übrigens - Deinem fortgeschrittenen Alter entsprechend - eine schöne Variante anzubieten).
Hübsch finde ich auch, wie fantasievoll Du mit dem Lautstärkeregler Deines Telefons umgehst. Jedesmal, wenn Dich morgens um 7 h Deine "rein platonische" Freundin aus dem dritten Stock anruft, - die mit dem Rentnermofa (das immer hinter der Hoftür parkt, und mir irgendwann den dritten Fußgelenksbruch meines Lebens einhandeln wird!) -, dann brauche ich keine Morgengymnastik mehr, denn ich stehe wie eine Eins im Bett! (das übrigens zwei Türen weiter ist. Und trotzdem suche ich jedesmal unter meinem Bett nach dem verdammten Telefon. Aber es ist DEINS!). Schön auch, Dich in die Sprechmuschel brüllen zu hören "Ja, Süße, ich bin auch schon wach!" (...ich weiß, ich weiß - alte Menschen brauchen nicht mehr so viel Schlaf. Aber ICH!). Lehn Dich doch einfach aus dem Fenster, neige den Kopf nach rechts und schau schräg nach oben, um es ihr direkt zu sagen. Dann siehst Du sie sogar noch, Deine Püppi.
Und hey - Du brauchst auch nicht mehr höflich vor meinem Fenster als Warnung zu pfeifen (wenn es wenigstens eine gescheite Melodie wäre. Genug Radio hörst Du ja, um endlich mal eine zu lernen!), wenn Du zum fünften Mal diese Woche den Efeu gießen willst, obwohl es schon 4 Tage lang regnet. Klopf einfach freundlich an die Scheibe und sage mir, dass Du mich nackt sehen möchtest. Dann schiebe ich die Gardine zur Seite (vielleicht ereilt Dich ja dann der Herzschlag, den ich mir für Dich wünsche).
Naja, ich kann mich nicht beklagen. Ich wohne seit 2 Jahren zum allerersten Mal in meinem Leben ganz allein. Aber allein muß nicht einsam heißen. Zumindest nicht mit Dir. Dieses Weihnachten schiebe ich Dir als kleines Dankeschön ein Hörgerät unter der Tür durch. Genauso bescheiden, wie Du - also ganz heimlich und anonym.
Und mir selbst schenke ich Kopfhörer..... Die Größten, "wo gibt"!
Dienstag, 7. Oktober 2008
[N]eighbours
Schublade: D[ee]verses, Human Being
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
4 comments:
Ich kann alles bestätigen!
Ich würd ja glatt einen Blog ins Leben rufen nur um auf diesen Artikel zu antworten.
Denn meiner wäre eine ganze Seite wert! ! !
Wer Nachts seine Nachbarn bis ins Detail beim Beischlaf hört, und am darauf folgendem Morgen sie duschen und pupsen und rot...en,der hat ne Menge mehr DARÜBER zu erzählen.....;)
Kind, wir müssen reden!
;-) xxx
Oh oh, klingt wie ein Fall für rottenneighbors ;-)
Ich poste extra nicht den Link, weil ich das nicht leicht klickbar noch weiter verbreiten will.
Oh oh.... nun, da haben Sie es mir jetzt aber wirklich schwer gemacht ;-)
Kommentar veröffentlichen